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Samstag, 23. Juni 2012

Ausländisch?


Ramesch Durbar will jetzt nur noch nach Hause. „Nach Hause", wie das klingt, sein Zuhause ist seit 20 Jahren in Deutschland.
Am Taxistand ist gerade ein Taxi angekommen. Er geht schnell hin, nicht dass irgend jemand es ihm wegschnappt. Heute würde er sich einmal ein Taxi leisten, sonst fährt er immer mit dem Bus.
„Sie kann ich nicht fahren", sagt der Taxifahrer, als er einsteigen will.
„Warum nicht?", fragt er.
„Sie sehen so ausländisch aus und ich darf so was nicht fahren.  Haben Sie Papiere dabei?"
„Was soll denn das?"
„Sie sind Ausländer, ich sehe ja, was ausländisch aussieht, und das fahre ich nicht, wenn keine Papiere da sind. Wenn mich ein Polizist anhält, und Sie sind illegal hier, dann sagt der: „Wie sieht denn der aus, der sieht doch ausländisch aus."
Einen von meinen Kollegen haben sie schon mal angehalten, weil er jemanden transportiert hat wie Sie, und dann hatte er ein Verfahren am Hals, ein Jahr und zehn Monate ohne Bewährung. Beihilfe zur Einschleusung von Ausländern, hat der Richter gesagt.
Er hatte vorher nie was mit der Polizei zu tun gehabt, er hat praktisch nur seine Arbeit gemacht."
„Sie sollen mich nicht über die Grenze fahren, wir sind hier nicht in irgendeinem Waldstück sondern mitten in der Stadt. Ich lebe seit zwanzig Jahren hier und habe einen deutschen Pass."
„Zeigen Sie ihn!"
„Ich trage nicht immer meinen Pass mit mir. Haben Sie ihren dabei?"
„Nein, brauche ich nicht, ich sehe nicht ausländisch aus. Ich hab' mal einen vom Flughafen abgeholt, der sah auch ausländisch aus. Ein Polizist hat zu mir gesagt, dass es mir völlig klar sein müsste, dass ich nicht illegale Eingereiste befördern könnte. Der hatte dann aber Papiere dabei."
„Hören Sie, ich möchte in die Kaiserstraße, Kaiserstraße 22, da wohne ich."
„Ja, das können Sie mir erzählen, das können Sie mir erzählen, so oft Sie wollen, ich befördere Sie trotzdem nicht."
„Ich habe den ganzen Tag gearbeitet, bin müde, und ich möchte, dass Sie mich zu der angegebenen Adresse fahren."
„Ja, und ich sage, ich kann Sie nicht befördern, ich weiß nicht, ob Sie legal in Deutschland sind oder illegal."
„Aber das geht Sie doch gar nichts an."
„Nein, aber ich habe dann Probleme mit der Polizei."
„Ich  möchte, dass Sie mich nach Hause fahren!"
„Wir können noch eins machen, die Polizei anrufen. Die soll kontrollieren, ob Sie zum Aufenthalt hier berechtigt sind. Und wenn die sagen, okay, dann können wir fahren."
Eine Frau kommt. Sie sieht nicht ausländisch aus. Sie nennt eine Adresse, zu der sie gefahren werden will, steigt ein. Das Taxi fährt davon.
Kopfschüttelnd steigt er in einen Bus. Seit 20 Jahren lebt er  in Deutschland in der Nähe der Schweizer Grenze, ist Deutscher und doch nicht Deutscher.
Aus der Zeitung weiß er, dass jüdische Friedhöfe verwüstet wurden. Ausländer wurden als Parasiten und Asylbetrüger beschimpft.
Er hatte gelesen, dass Brandanschläge auf Ausländerwohnheime stattfanden, Ausländer wurden von Skinheads mit Messern, Knüppeln, Schlagringen, Eisenstangen, Baseballschlägern und Brandflaschen angegriffen. Männer, Frauen und Kinder wurden verbrannt. Menschen hatten sich in ihrer Angst und Verzweiflung  selbst umgebracht, hatten sich vor Züge geworfen, waren aus Fenstern brennender Häuser und   von Dächern gesprungen.
Neo–Nazis brachten über 150 Menschen auf offener Straße um, über 80 Tote gab es beim Grenz-Schutz–Einsatz des Bundesgrenzschutzes an der Grenze nach Polen.
Bei vielen Zwischenfällen hatten Deutsche nur zugeschaut, nicht eingegriffen, teilweise Beifall geklatscht.
Die Polizei griff bei Zwischenfällen teilweise nur sehr zögernd ein, Gerichtsurteile waren äußerst milde gewesen.
Deutsche, die sich für Belange von Ausländern eingesetzt hatten, es waren wenige, wurden beschimpft, beleidigt und bedroht.
Sie erhielten Briefe:
„Für Vertreter nichtdeutscher Interessen müssen Lager geschaffen werden, in denen sie wieder lernen, sich primär für das Wohl ihres eigenen Volkes einzusetzen."
Ihm war bisher nichts passiert.

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